Gilt eine Neutralitätspflicht für Bürgermeister?
Bürgermeister haben ein kommunales Wahlamt inne. Sie sind damit Teil des Staates.
In der Folge gilt für sie die vom Bundesverfassungsgericht definierte Grenze staatlicher Öffentlichkeitsarbeit: Es ist ihnen untersagt, sich im Hinblick auf Wahlen mit politischen Parteien oder Wahlbewerbern zu identifizieren und die ihnen zur Verfügung stehenden staatlichen Mittel und Möglichkeiten zu deren Gunsten oder Lasten einzusetzen.
Kurzum: Immer dann, wenn ein Bürgermeister in seiner amtlichen Rolle tätig wird, unterliegt er einer Neutralitätspflicht. Insoweit gelten für ihn als kommunalen Wahlbeamten im Grundsatz die Grundpflichten eines jeden Beamten nach § 33 Beamtenstatusgesetz. Er hat dem ganzen (Gemeinde-)Volk zu dienen, seine Aufgaben unparteiisch zu erfüllen und sich bei der politischen Tätigkeit zu mäßigen und zurückzuhalten.
Allerdings ist ein Bürgermeister – anders als übrige Beamte – direkt vom Volk gewählt. Er darf wahlpolitischen Ziele, mit denen er im Bürgermeisterwahlkampf geworben hat, nach seiner Wahl in Verwaltungshandeln überführen und damit in gewissem Maße politisch agieren. Die strikte beamtenrechtlichen Neutralitätspflicht wird damit für Bürgermeister aufgeweicht.
Wann darf ein Bürgermeister sich äußern?
Innerhalb seines Aufgaben- und Zuständigkeitsbereichs darf sich auch ein Bürgermeister kommunalpolitisch äußern. Insbesondere in seiner Rolle als Mitglied des Rates gilt für ihn nichts anderes als für die übrigen Ratsmitglieder. Eine Teilnahme am politischen Meinungskampf darf ihm – selbst bei zugespitzten Äußerungen – nicht verwehrt werden. Er darf im Rat für seine politische Position und Mehrheiten werben. Denn andernfalls wäre sein aktives Teilnahmerecht erheblich beschränkt und er würde gegenüber anderen Ratsmitgliedern benachteiligt
Wann das Neutralitätsgebot gilt
Außerhalb seines kommunalen Aufgabenbereichs gilt jedoch auch für Bürgermeister uneingeschränkt das Neutralitätsgebot. Maßgeblich ist dabei, ob er in amtlicher Funktion tätig wird oder aber als Privatperson handelt. Zwar ist die strikte Trennung zwischen amtlichen Handeln eines Bürgermeisters und einer privaten politischen Sphäre nicht immer möglich. Eine Abgrenzung ist aber nicht nur notwendig, um sicherzustellen, dass staatliche Ressourcen nicht für private oder politische Zwecke missbraucht werden. Sie ist auch deshalb wichtig, weil der Bürgermeister als Amtsträger an die Grundrechte gebunden ist, sich aber als Privatperson auf Grundrechte berufen darf.
Äußert sich ein Bürgermeister, kommt es darauf an, ob er sich in seinem Amt oder privat äußert. Eine Äußerung gegenüber einem Pressevertreter, empfangen unmittelbar im Amtszimmer des Bürgermeisters mit repräsentativem Schreibtisch und Stadtwappen im Hintergrund wird amtlichen Charakter haben. Denn dann nimmt er amtliche Ressourcen in Anspruch.
Zurückhaltungspflicht bei näher rückendem Wahltermin
In Zeiten des Wahlkampfes gelten erhöhte Anforderungen: Staatlichen Organen ist im Verhältnis zur zeitlichen Nähe des Wahltermins eine graduell ansteigende Zurückhaltungspflicht auferlegt. Dabei ist es ihnen insbesondere verwehrt, sich in amtlicher Funktion im Hinblick auf bevorstehende Wahlen mit politischen Parteien oder Wahlbewerbern zu identifizieren und sie unter Einsatz von staatlichen Mitteln zu unterstützen oder zu bekämpfen.
In der Wahlkampfphase kommt es damit umso mehr auf die klare Abgrenzung zwischen amtlicher Tätigkeit des Bürgermeisters und dem Handeln als Privatperson an. Dabei ist nicht entscheidend, ob der Bürgermeister sich selbst zur Wahl stellt oder bloß als Wahlkampfhelfer für Dritte fungiert.
Tom Schurig
Leider hat dieser Beitrag einen aktuellen Hintergrund.
So hat Bürgermeisterin Lüke im November 2024 den Journalisten Markus Balser in ihrem Amtszimmer in ihrer Eigenschaft als Bürgermeisterin empfangen und ihm ein Interview gegeben. Darauf hin stellte Herr Balser eine Anfrage an die AfD-Fraktion, in der er mitteilt, er habe "von Vorwürfen und Sorgen erfahren, nach denen die AfD in Pulsnitz durch ein destruktives Vorgehen etwa im Stadtrat oder in anderen Gremien versuche, die lokale Demokratie zu beschädigen".
Wir haben einen kurze Antwort an Herrn Balser verfasst, die dann auch Eingang in den Artikel fand.
Wir sind der Meinung, die Bürgermeisterin hat mit diesem Interview gegen das Neutralitätsgebot verstoßen.
Wir haben uns dafür entschieden, darauf mit einer schriftlichen Anfrage zu reagieren und eine Stellungnahme und gegebenenfalls auch Entschuldigung gegenüber der AfD-Fraktion und unseren Wählern zu verlangen.
Die Stellungnahme ist erfolgt, eine Entschuldigung blieb leider aus.
Da wir als Fraktion grundsätzlich dafür angetreten sind, um durch konstruktive, offene und ideologiefreie Zusammenarbeit mit allen Fraktionen im Stadtrat gemeinsam die besten Lösungen für Pulsnitz zu finden, lassen wir das Thema damit ruhen.
Im Sinne von Offenheit und Transparenz veröffentlichen wir allerdings in diesem Dossier alle zugehörigen Dokumente.
Damit kann sich jeder seine eigene Meinung bilden.
Für Nachfragen stehen wir gern zur Verfügung.
Der entsprechende Artikel der Süddeutschen Zeitung ist leider nur hinter einer Bezahlschranke abrufbar :
Von Markus Balser, Christoph Koopmann, Roland Preuß, Jörg Schmitt, Illustrationen: Felix Hunger
6. Dezember 2024 - 23 Min. Lesezeit